Zwei Weisen des Gebetes

Hirtenwort von Bischof Heiner

Ich möchte mit Ihnen über zwei Gebetsweisen nachsinnen und dazu Vorschläge machen, nämlich zum inneren Gebet und zur Anbetung.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

immer mehr Menschen, auch ich selbst, werden angesichts der großen Herausforderungen, die uns die Corona-Pandemie auferlegt, unruhiger.

Bei allem dringend gebotenen Rückzug, der für einige auch zu viel Ruhe bedeutet, fühlen viele sich innerlich getrieben, manche werden ängstlicher, andere wütend, wieder andere bangen um ihre Existenz.

Wir alle sehnen uns nach anderen Menschen, nach einer Tasse Kaffee im Café, nach einem gemütlichen Abendessen mit lieben Freunden, nach ein paar Tagen an der Nordsee oder im Harz, um den Kopf wieder freizubekommen. Junge Menschen wollen einfach nur unbeschwert zur Schule gehen und auch mal wieder Party machen. Die ganz Kleinen möchten mit ihren Freundinnen und Freunden in der Kita spielen. Ältere und Kranke sehnen sich nach dem Besuch ihrer Lieben. Und viele sehnen sich nach Tiefe, nach innerer Fülle, nach einer Energie, die sich nie aufbraucht, nach Spiritualität.

Ich frage mich, wie wir den Glauben leben können. Wie finden wir Halt im Urgrund des Lebens, im Urquell unseres Herzens, in Gott? Wie können wir mit ihm in Verbindung bleiben? Wie geht beten, allein zu Hause in den vier Wänden oder mit mehreren in einer Kirche oder einer Kapelle? Wer mich zuerst trägt, das ist Gott. Und über Gott finde ich auch zur Gemeinschaft, zur Gemeinde, zur größeren Gruppe der Glaubenden und Suchenden. Und umgekehrt. Aber der Schlüssel ist, wie Gott in meinem Herzen wirkt.

Deshalb möchte ich mit Ihnen über zwei Gebetsweisen nachsinnen und dazu Vorschläge machen, nämlich zum inneren Gebet und zur Anbetung.

Kurz vor Weihnachten fiel mir dann ein Buch in die Hände. Ich hatte mich, um die Gottesdienste vorzubereiten, ein paar Tage zurückgezogen. In dieser Zeit las ich wieder einmal von und über Teresa von Ávila. Teresa war eine Ordensfrau, die im 16. Jahrhundert in Spanien gelebt hat. Sie stammte aus einer ursprünglich jüdischen Familie, trat in den Karmel ein und gründete später den Orden der unbeschuhten Karmelitinnen. Teresa von Ávila wurde 1970 von Papst Paul VI. als erste Frau in der Geschichte zur Kirchenlehrerin ernannt. Ein Bestandteil ihrer Lehre, die, wie ich finde, sehr bodenständig und alltagstauglich ist, ist ihr Ansatz des inneren Betens. Dieses innere Beten beschreibt Teresa so:

Meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“ Inneres Beten als „Verweilen bei einem Freund.“

Welch wunderbarer Gedanke! Gerade jetzt. Wir sehnen uns danach, nicht allein zu sein. Wir sehnen uns danach, bei und mit jemandem zu sein, der uns mag und hält. Und genau das dürfen wir täglich tun: wir können uns in unserem Alltag an die Nähe Gottes erinnern. Uns anlehnen, wie wir das bei Freundinnen und Freunden tun. Durchatmen. Ruhig werden. Traurig sein. Wut ablassen. Auch das. Es kann dabei hilfreich sein, uns täglich feste Zeiten zu schenken, die wir für das innere Gebet reservieren. Während der Kaffeepause im Büro. Bei der Heimfahrt im Bus. Vor den Hausaufgaben. Nach dem Einräumen der Spülmaschine. Fünf Minuten. Ganz bewusst. Auszeiten zum Runterkommen. Auszeiten zum Ankommen. Auszeiten zum Heimkommen. Für Teresa von Ávila kann die Begegnung mit Gott auch „zwischen den Kochtöpfen“ möglich sein. Mir hilft es, dabei die Augen zu schließen und mir bewusst zu machen, dass Gott da ist. Er ist um mich herum, an meiner Seite und er ist tief in mir. Dabei kann ich Gott ansprechen. Von Ich zu Du. Oder wir schweigen wie zwei Freunde und wissen, wir verstehen uns. Das, was dann in mir geschieht, ist inneres Beten. Es ist Verweilen bei einem Freund. Einigen wird es vielleicht guttun, dazu zunächst ein Buch, zum Beispiel die Heilige Schrift, zur Hand zu nehmen. Das Lesen in der Bibel kann helfen, sich auf das innere Gespräch mit Gott einzustimmen. Andere werden sich vielleicht, zu einer Zeit der Stille oder zu einer anders gestalteten Form von Beten verabreden. Mit Musik. Mit Texten. Dies ist auch über Social Media möglich.

In diesem Zusammenhang möchte ich mit Ihnen über einen anderen Punkt ins Gespräch kommen: Allen Gemeinden, Orden und geistlichen Gemeinschaften in unserem Bistum schlage ich vor, mit den Gremien oder anderen Engagierten und Gottsuchenden schon jetzt ernsthaft darüber nachzusinnen, die Form der Anbetung anzubieten. Ich weiß, dass einige schon auf eine lange Tradition dieser Form des Betens zurückschauen können. Ich bitte Sie herzlich, über die Form der eucharistischen Anbetung nachzudenken, über die stille Anbetung oder auch über eine Form von Anbetung, ähnlich wie in Taizé, in der während des Lobpreises die Beterinnen und Beter geistliche Lieder singen oder einen kurzen biblischen oder spirituellen Text betrachten oder in Gemeinschaft schweigen.

Wie sagte Pater Alfred Delp in schwerer Zeit: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die unverratene Treue und Anbetung.“ Gerade in dieser herausfordernden Zeit kann uns die Erfahrung, dass Gott in uns und mit uns unterwegs ist, Kraft, Hoffnung und Zuversicht geben. Mit den Worten von Teresa von Ávila: „Nichts soll dich beunruhigen; nichts ängstige dich. Wer Gott hat, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.

Ihnen allen wünsche ich die innere Erfahrung, dass Gott bei Ihnen ist und Sie trägt.

Gott segne und behüte Sie.

Dr. Heiner Wilmer SCJ

Bischof von Hildesheim